Ein Ehegatte kann dann nachehelich zu Unterhaltszahlungen an den anderen Ehegatten verpflichtet werden, wenn es diesem nicht möglich oder zumutbar ist, nach der Scheidung für seinen Unterhalt selber aufzukommen. Ein zentrales Kriterium ist dabei, ob die Ehe lebensprägend war. Dies ist der Fall, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und/oder die Ehe länger als zehn Jahre gedauert hat.
Verlangt ein Ehegatte im Scheidungsverfahren Unterhalt, so prüft das Gericht u.a., ob dieser Ehegatte nachehelich nicht selbst genügend Einkommen erzielen kann, um die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken.
Hat dieser Ehegatte – in der Praxis nach wie vor meist die Ehefrau – während der Ehe nicht oder nur zeitweise gearbeitet, weil sie die Kinder betreut und den Haushalt geführt hat, ist die Frage zu beantworten, ab wann sie nach der Scheidung zu arbeiten beginnen oder ihre Teilzeitarbeit aufstocken muss.
Bislang war hier die so genannte „10/16“-Regel die wichtigste Orientierungshilfe gewesen. Diese vom Bundesgericht aufgestellte Richtlinie besagt, dass der kinderbetreuende, bislang nicht erwerbstätige Ehegatte nach der Scheidung ab dem vollendeten zehnten Altersjahr des jüngsten Kindes eine Teilzeittätigkeit (maximal 50%) und ab dem vollendeten sechzehnten Altersjahr ein Vollzeitpensum aufzunehmen hat.
Die „10/16“-Regel ist jedoch mit Inkrafttreten des neuen Kindesunterhaltsrechts am 1. Januar 2017 unter Druck geraten. In einigen Kantonen scheinen sich Gerichte an neuen Richtlinien zu orientieren. Diese haben tendenziell das Folgende gemeinsam:
Der kinderbetreuende Ehegatte soll neu nach der Scheidung bereits ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in die Primarschule eine Teilzeittätigkeit (z.B. 30%-50%) aufnehmen müssen. Eine weitere Aufstockung des Arbeitspensums hat sodann ab Eintritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe stattzufinden (70%-100%). Je nachdem wird ab dem vollendeten 15.-16. Altersjahr endgültig ein Arbeitspensum von 90-100% angerechnet (wenn dies nicht schon vorher der Fall war).
Der Trend könnte somit neu dahin gehen, dass der bisher kinderbetreuende Ehegatte nach der Scheidung deutlich früher wieder in den Beruf einsteigen muss als bisher. Ein Urteil des Bundesgerichts dazu steht allerdings noch aus.
Eine weitere wichtige Regel befasst sich mit der Frage, bis zu welchem Alter einem während der Ehe kinderbetreuenden Ehegatten nach der Scheidung zugemutet werden kann, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. aufzustocken.
Ursprünglich war das Bundesgericht davon ausgegangen, dass es einem während der Ehe nicht erwerbstätigen Ehegatten nicht mehr zumutbar ist, nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, wenn er bei Aufnahme des Getrenntlebens 45 Jahre alt war. Diese Schwelle wurde mit der Zeit tendenziell auf 50 Jahre angehoben.
Höher ist diese Altersschwelle anzusetzen, wenn der Ehegatte während der Ehe bereits eine Teilzeiterwerbstätigkeit ausübte. Hier wurde nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung z.B. auch einer 51-jährigen sowie einer 54-jährigen Ehefrau noch zugemutet, ihr Teilzeitpensum nach der Scheidung auf ein Vollzeitpensum auszudehnen (siehe Zusammenfassung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesgerichts vom 27. Januar 2017, 5A_319/2016, E. 4.2.).
Rechtsanwalt lic. iur. Manuel Duss, Fachanwalt SAV Familienrecht, Zürich