Mit Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall nach der Scheidung und für unverheiratete Paare erfolgte per 1. Juli 2014 sozusagen eine Initialzündung, was das Bemühen um Gleichbehandlung der Eltern im Verhältnis zu ihren gemeinsamen Kindern anbetrifft. Eltern sollen für ihre Kinder in gleichem Masse Verantwortung tragen (dürfen). Keinen direkten Zusammenhang hat die elterliche Sorge allerdings mit dem Umfang der Betreuung der gemeinsamen Kinder. Die gemeinsame elterliche Sorge bedeutet deshalb keineswegs, dass die Eltern ein gemeinsames Kind gleich oft betreuen.
Im Verbund mit dem bevorstehenden Inkrafttreten des neuen Kindesunterhaltsrechts per 1. Januar 2017 findet nun ein neues "Betreuungsmodell" im Gesetz ausdrückliche Erwähnung, nämlich die alternierende Obhut. Im revidierten Art. 298 Abs. 3ter ZGB wird es ab diesem Zeitpunkt neu heissen:
„Bei gemeinsamer elterlicher Sorge prüft es [d.h. das Gericht, Anm. des Verfassers] im Sinne des Kindeswohls die Möglichkeit einer alternierenden Obhut, wenn ein Elternteil oder das Kind es verlangt.“
Gleich lautet die entsprechende Bestimmung, sofern die Kindesschutzbehörde zuständig ist (vgl. revArt. 298b Abs. 3ter ZGB).
Ganz neu ist dies nicht. Bereits in einem Entscheid vom 26. Mai 2015 befand das Bundesgericht, dass das Gericht prüfen müsse, ob eine alternierende Obhut möglich und mit dem Kindeswohl vereinbar sei. Die Tatsache allein, dass ein Elternteil keine geteilte Obhut wünsche sowie die fehlende Kooperation zwischen den Eltern genüge nicht, um die alternierende Obhut auszuschliessen (vgl. 5A_46/2015, E. 4.4.5.).
Von einer alternierenden Obhut kann dann gesprochen werden, wenn die Eltern die gemeinsamen Kinder gleich oft (d.h. je 50%) oder annähernd gleich viel (z.B. 60% zu 40%) betreuen. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass auch noch ein Verhältnis der Betreuungsanteile von 70:30 als alternierende Obhut gelten könne. Letzteres dürfte allerdings dem Grundgedanken der alternierenden Obhut, dass Eltern die Kinder ungefähr in gleichen Umfang betreuen, nicht mehr wirklich gerecht werden.
Mögliche konkrete Formen der alternierenden Obhut bzw. Betreuung sind:
(1) Die Eltern wechseln sich mit der Betreuung ab. Jeder Elternteil betreut das Kind z.B. eine Woche lang. Danach wechselt das Kind zum anderen Elternteil. Es handelt sich um das so genannte „Wechselmodell“. Es sind verschiedenste Formen der abwechselnden Betreuung denkbar.
(2) Beim „Nestmodell“ bleiben die Kinder an einem Wohnort. Die Eltern ziehen abwechselnd ein, um die Kinder zu betreuen.
In einem Urteil vom 11. August 2016, in welchem es um die Frage der Verlegung des Aufenthaltsortes eines Kindes ging, äusserte sich das Bundesgericht nebenbei auch zur alternierenden Obhut. Es befand, dass das „Modell der ungefähr zu gleichen Teilen ausgeübten alternativen Obhut (…) je nach konkreter Ausgestaltung und Alter des Kindes bereits ab einer geringen Distanz [der Wohnorte der Eltern, Anm. des Verfassers] illusorisch wird“ (vgl. 5A_581/2015, E. 2.4.1.).
Als Fazit kann gesagt werden, dass nicht primär die Gleichbehandlung der Eltern das Ziel sein kann, wenn es um die Gestaltung der Betreuungsanteile geht, sondern hier immer vorrangig das Kindeswohl zu beachten ist. Die Gleichbehandlung der Eltern wird aber immerhin dadurch gewährleistet, dass Gericht und Kindesschutzbehörde die alternierende Obhut neu stets prüfen müssen und nicht einfach ausser Acht lassen dürfen.
Lic. iur. Manuel Duss, Fachanwalt SAV Familienrecht (Zürich)